Ein emotionales Ungleichgewicht – Wenn nur einer ein Kind möchte

Beim Thema Familiengründung geht es um mehr als ein Baby. Gemeinsam Eltern zu werden, bedeutet Nähe und Geborgenheit, aber auch Verbindlichkeit und Verantwortung. Für viele Menschen klingt das schön. Manchen macht es jedoch Angst. 

Der Kinderwunsch als Beziehungskonflikt

Bei den einen passiert es schon beim ersten Date, bei anderen erst nach Monaten oder gar Jahren, aber irgendwann steht es meistens im Raum: das Thema Kinderwunsch. Wenn Paare dann plötzlich merken, dass ihre Gefühle und Gedanken zu dieser existenziellen Frage ganz unterschiedlich sind, kann das alles ändern. 

Diejenigen, die trotzdem zusammenbleiben, erleben häufig, dass der einseitige Kinderwunsch zum permanenten Reibungspunkt wird. – Ein Konflikt, der sich entweder in Streitsituationen entlädt, oder sich durch eine unterschwellige Spannung bemerkbar macht, weil Unsicherheit, Sprachlosigkeit und Angst vor Ablehnung ein offenes Gespräch verhindern. 

Wendepunkt mit Entwicklungspotenzial

Häufig geht der Kinderwunsch eher von den Partnerinnen aus. Weiblichkeit und Mutterschaft sind in unserer Gesellschaft immer noch stark miteinander verbunden. Der Erwartungsdruck ist hoch. Und wenngleich auch die männliche Zeugungsfähigkeit jenseits der 35 abnimmt, tickt die „biologische Uhr“ für Frauen ungleich lauter. Das gilt vor allem, wenn sich bereits die ersten Anzeichen für hormonelle Veränderungen zu Beginn der Perimenopause bemerkbar machen. 

Einseitiger Kinderwunsch ist eine Chance, offen und ehrlich über die gemeinsame Zukunft zu sprechen. – Markus Breitenberger

Das heißt, egal ob es um das erste oder ein weiteres Kind geht – es kann wichtig sein, hier relativ zügig gemeinsam zu einer Entscheidung zu kommen, weil das Zeitfenster tatsächlich begrenzt ist. Versuchen Sie aber, das Ganze nicht nur als Stressfaktor zu betrachten, sondern als Chance, offen und ehrlich über die gemeinsame Zukunft zu sprechen, einander noch besser kennenzulernen und an manchen Punkten vielleicht sogar zu „heilen“. 

Was steckt hinter dem (Nicht-)Wunsch nach einem Kind?

Ob wir uns vorstellen können, ein Kind zu bekommen oder nicht, hängt damit zusammen, welche Erfahrungen wir im Laufe unseres Lebens gesammelt haben. Insbesondere die Kindheit und die Bindung zu unseren Eltern können ausschlaggebend dafür sein, ob wir uns der Verantwortung gewachsen fühlen – oder sie uns eher Unbehagen bereitet.  

Biografische und psychologische Hintergründe

Keine Kindheit ist perfekt. Seelische Verletzungen passieren – wie stark ihre Auswirkungen auf den Verlauf des eigenen Lebens sind, ist aber ganz individuell. 

Wenn Sie selbst Eltern hatten, die im Großen und Ganzen verlässliche und liebevolle Bezugspersonen waren, gehören Sie zu denjenigen, die in der glücklichen Lage sind, keine Bindungsängste entwickelt zu haben – etwas, das viele Menschen leider nicht von sich sagen können.

Erfahrungen aus der Kindheit beeinflussen, ob wir uns einem Kinderwunsch offen stellen können oder ob er alte Ängste in uns weckt. – Markus Breitenberger

Vielleicht haben Sie jedoch viele schwierige Situationen in Ihrer Kindheit erlebt, frühe Verluste erlitten oder Erfahrungen gesammelt, die bis heute Selbstzweifel, Ängste und ein Gefühl von Überforderung erzeugen, wenn Sie an den Kinderwunsch Ihrer Partnerin oder Ihres Partners denken. 

Gesellschaftlicher Druck und innere Erwartungen

Hinzu kommt, dass das Thema Familiengründung mit gesellschaftlichem Druck und Romantisierung verbunden ist. – Ein Glücksversprechen, das sich keineswegs einlösen muss, wie die aktuellen Debatten um „Mental Load“, „Care-Arbeit“ und „Regretting Motherhood“ belegen. 

Deshalb ist umso wichtiger, sorgsam abzuwägen:

  1. Möchte ich wirklich ein Kind?
  2. Was brauche ich dafür gegebenenfalls von meinem Partner?
  3. Fühle ich Druck, bestimmte Rollenbilder zu erfüllen?
  4. Gibt es möglicherweise alternative Lebensentwürfe, die besser zu mir passen? 

Warum die Gründe oft unbewusst bleiben

In jedem Fall ist es nicht immer einfach, die tieferen Ursachen eigener Ängste und Zweifel oder der des Partners zu erkennen. Oftmals ist das Thema bereits so emotional aufgeladen, dass es für beide Parteien gar nicht mehr möglich ist, ruhig und sachlich darüber zu sprechen. Genau hier setzt die therapeutische Arbeit an und bietet Methoden, die helfen, einander wirklich zu verstehen und gemeinsam zu einer Lösung zu kommen.

Welche seelische Folgen kann ein einseitiger Kinderwunsch haben?

Die Folgen eines unerfüllten einseitigen Kinderwunsches sind nicht zu unterschätzen. Trauer, Enttäuschung und Frust können bis hin zu einem Gefühl von Resignation und tiefer Einsamkeit in der Beziehung führen. 

Unerfüllter Kinderwunsch kann zu Depressionen führen

Manche Menschen ziehen sich bei einem unerfüllten Kinderwunsch in ihrer Hoffnungslosigkeit sogar so sehr zurück, dass sie eine Depression entwickeln. Wenn Sie Warnzeichen bei sich oder Ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin beobachten, ignorieren Sie diese bitte nicht. 

Auch der Partner ohne Kinderwunsch leidet

Bedenken Sie auch, dass die Person, die sich kein Kind wünscht, ebenfalls leidet. Möglicherweise fühlt sie sich stark unter Druck gesetzt. Ängste und Zweifel lassen sich jedoch nicht einfach wegreden und abstreifen. Selbst wenn man noch sehr möchte. Therapeutische Unterstützung kann hier sinnvoll sein. 

Wie kann eine Paartherapie helfen?

Wenn ein einseitiger Kinderwunsch Ihre Beziehung belastet, kann eine Beratung oder Paartherapie helfen, innere Haltungen sichtbar zu machen. Als Paartherapeut werte ich nicht, sondern unterstütze Sie beide dabei, einander besser zu verstehen und eine Lösung zu finden. Lassen Sie uns in dieser Situation, in der es auf den ersten Blick nur „Ja“ oder „Nein“, nur Schwarz oder Weiß, zu geben scheint, gemeinsam nach Zwischentönen schauen. 

Der Kinderwunsch als Spiegel innerer Dynamiken

Ein Kinderwunsch kann in einer Beziehung, aber auch völlig unabhängig von ihr entstehen. Oft ist er Ausdruck der Suche nach etwas Tieferliegendem: dem Wunsch danach „anzukommen“, ein neues Kapitel aufzuschlagen, der Sehnsucht danach, Sinn, Sicherheit und Verbundenheit zu finden. Die einen suchen dabei das, was sie in der eigenen Kindheit selbst erlebt haben und zu schätzen wussten und die anderen das, was sie schmerzlich vermissten. 

Entscheidend ist oft auch, an welchem Punkt wir in unserem Leben stehen. In einer Welt voller Optionen und Unsicherheiten bedeutet ein Kind, sich festzulegen. Für mindestens zwei Jahrzehnte steht dieser kleine, junge Mensch im Mittelpunkt. Das kann wunderschön und richtungsweisend sein, kostet aber auch viel Zeit und Kraft. 

Ablauf einer Paarberatung oder Paartherapie bei einseitigem Kinderwunsch

Wie eine Paarberatung bei einseitigem Kinderwunsch abläuft, hängt von vielen individuellen Faktoren ab. In der ersten Sitzung lernen wir uns kennen und besprechen die gemeinsame Vorgehensweise und Ziele. Wichtig ist: Es geht nicht darum, herauszufinden „wer Recht hat“, sondern das gegenseitige Verstehen zu ermöglichen und eine Lösung zu finden, die sich für beide Beteiligten möglichst authentisch und richtig anfühlt.

Was tun, wenn der Partner nicht bereit für eine Beratung oder Therapie ist? 

Viele Menschen haben Schwellenangst, wenn es darum geht, eine Paartherapie wahrzunehmen. Sie tun sich schwer damit, über Sorgen, Zweifel und Traumata zu sprechen – erst recht vor einem Therapeuten. Diese Ängste sind in der Regel unbegründet, weil Sie selbst entscheiden, wie weit Sie sich in einer Therapie öffnen möchten. 

Falls Ihr Partner dazu noch nicht bereit ist, muss Sie das nicht davon abhalten, sich allein beraten zu lassen. Nutzen Sie die Chance, sich über die eigenen Wünsche und Prioritäten klarer zu werden, Ihre Kommunikation zu reflektieren und gestärkt in den Austausch mit Ihrem Partner zu treten.  

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Welche Lösungen gibt es bei einem einseitigen Kinderwunsch?

Manchmal müssen andere Themen geklärt werden, bevor der Platz für ein Kind im eigenen Herzen und Leben frei wird. Wenn Sie und Ihr Partner im Moment noch unterschiedlicher Meinung beim „Babythema“ sind, heißt das nicht, dass das immer so bleibt. Lassen Sie uns gemeinsam schauen, welche Möglichkeiten es für Sie beide gibt. 

Kompromisse besprechen

Oft ist es bereits heilsam und hilfreich, quälende Gedanken in der Paartherapie endlich auszusprechen. Dann können wir schauen, was Ihnen und Ihrem Partner mehr Sicherheit geben würde, zum Beispiel:

  • eine Verhaltensänderung im aktuellen Beziehungsalltag
  • ein neuer zeitlicher Horizont für die Familiengründung
  • eine konkrete Planung der Aufgabenverteilung für die ersten Jahre nach der Geburt

Besondere Dynamiken beim zweiten oder dritten Kind

Gerade Menschen, die bereits Kinder haben, wissen, dass damit nicht nur Glück, sondern auch gewaltige Kraftanstrengungen verbunden sind. Schlaflose Nächte, ständiges Zurückstecken der eigenen Bedürfnisse und finanzielle Fragen können einem zweiten und dritten Kind im Wege stehen.

Eine Frau, die bereits einen großen Teil der „Care-Arbeit“ und des „Mental Loads“ in der Familie übernimmt, wird möglicherweise wenig Lust auf ein weiteres Kind haben. Ein Mann, der sich jetzt bereits stark unter Druck gesetzt fühlt, die Familie „allein versorgen zu müssen“ ebenfalls nicht. Hier kann es helfen, die klassische Verteilung der Aufgaben zu überdenken und den Familienalltag neu zu organisieren, um sich gegenseitig zu entlasten.  

Was tun, wenn keine gemeinsame Lösung möglich ist?

Wenn gar keine Lösung in Sicht ist, kann ein einseitiger Kinderwunsch tatsächlich ein Grund für eine Trennung sein. Denn auch wenn Ihre Lebensvorstellungen unterschiedlich sind, sollten sie doch mindestens vereinbar sein, damit ein glückliches, erfülltes Miteinander auf Dauer möglich ist. 

Wenn der Wunsch nach einem Kind bei Ihnen besonders tief sitzt und Ihr Partner absolut nicht möchte, kann es sinnvoll sein, friedlich auseinanderzugehen. So geben Sie sich gegenseitig die Chance, jemanden kennenzulernen, dessen Lebensentwurf noch besser zu Ihnen passt, oder Ihren Traum vom Kind allein zu verwirklichen. 

Sofern Sie über viele Jahre oder bereits durch Haus und andere Kinder verbunden sind, sollten Sie überlegen, sich in dieser schwierigen Lebensphase professionell begleiten zu lassen, um Konflikte konstruktiv zu lösen. Als erfahrener Paartherapeut unterstütze ich Sie gern auf dem Weg zwischen Abschied und Neuanfang.

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Fazit – Der Kinderwunsch als Chance zur Vertiefung der Beziehung

Bevor Sie eine Trennung tatsächlich in Erwägung ziehen, versuchen Sie einen neuen Blickwinkel auf die Krise zu gewinnen, in der Sie sich mit Ihrem Partner befinden. Vielleicht ist gerade jetzt der Zeitpunkt, die Karten sprichwörtlich auf den Tisch zu legen, wichtige Lebenserfahrungen aufzuarbeiten und sich gegenseitig noch einmal tiefer kennenzulernen. Wenn Sie merken, dass Sie dabei allein mit Ihrem Partner nicht weiterkommen, zögern Sie nicht, professionelle Unterstützung in Form einer Paarberatung oder Paartherapie in Anspruch zu nehmen.

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Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was tun bei einem einseitigen Kinderwunsch?

Bei einem einseitigen Kinderwunsch haben Sie verschiedene Möglichkeiten: Wenn Sie noch jung sind, kann es Sinn machen, Ihrem Partner einfach Zeit zu geben. Vielleicht muss er noch andere Themen für sich klären, bis er bereit für ein Kind ist. Hören Sie Ihre biologische Uhr bereits ticken, sollten Sie unbedingt herausfinden, warum Ihr Partner sich gegen ein Kind sperrt. Gibt es einen Konflikt auf Paarebene, wegen dem Ihr Partner sich nicht festlegen möchte? Oder hat es mit tieferliegenden Ängsten und Erfahrungen aus der eigenen Kindheit zu tun? Bevor Sie sich wegen einem einseitigen Kinderwunsch trennen, empfehle ich, Ihrer Beziehung mit durch eine Paarberatung oder Paartherapie noch eine Chance zu geben. 

Kann man den Partner vom Kinderwunsch überzeugen?

So einfach funktioniert es meistens nicht. Argumente erhöhen den Druck auf Ihren Partner und das ist eher kontraproduktiv. Die Motivation für ein Kind sollte „intrinsisch“ entstehen, also von innen heraus, und nicht von außen. Was helfen kann, ist, vorsichtig und verständnisvoll mit Ihrem Partner über Sorgen und Zweifel sprechen. Vielleicht gibt es bestimmte Stressfaktoren im Alltag, die Ihren Partner belasten. Überlegen Sie am besten gemeinsam, was Sie selbst tun können, um Ihren Partner hier zu entlasten und zu unterstützen. 

Was, wenn nur einer ein zweites Kind möchte?

Wenn der Wunsch nach einem zweiten Kind der einzige große Reibungspunkt in Ihrer Beziehung ist, kann es absolut sinnvoll sein, unter Rücksichtnahme auf ihr erstes Kind, keinen weiteren Druck auf Ihren Partner auszuüben. Bewahren Sie Ruhe und konzentrieren Sie sich auf das Glück, das Sie bereits haben. Und schauen Sie nebenbei vielleicht mal, was hinter dem Zögern Ihres Partners bezüglich weiterer Kinder steckt. Womöglich gibt es bestimmte Stellschrauben in Ihrem Alltag, die Sie verändern können, damit auch er oder sie Lust auf ein weiteres Baby bekommt. 

Wie lange sollte man an der Beziehung festhalten, bevor man loslässt?

Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Es kommt darauf an, wie groß die Sehnsucht nach einem Kind bei Ihnen ist und aus welchen Beweggründen Ihr Partner sich nicht darauf einlassen mag. Sein Sie ehrlich zu sich selbst, wenn es darum geht, was Ihnen im Leben wirklich wichtig ist. Stellen Sie sich vor, Sie wären 85 Jahre und würden zurückblicken. Was würden Sie Ihrem jüngeren „Ich“ raten? Was würden Sie Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn raten, wenn sie oder er in Ihrer Situation wäre? Vielleicht helfen Ihnen diese Fragen, herauszufinden, wohin der Wegweiser in Ihrem Herzen zeigt.

Autor:
Markus Breitenberger, Paartherapeut in München seit mehr als 25 Jahren